Jazz’n’more – Jan/Feb Nr. 1/2020
Entspannt pulsierende Rhythmen, darüber kurze melodische Sequenzen. die sich mit keinem vertrauten Instrument in Einklang bringen lassen: wahrhaft unerhörte, geheimnisvolle und dabei betörende Soundimpressionen die nicht von dieser Welt scheinen. Das ist das musikalische Universum. in das Ania Losinger, Jan Heinke und Mats Eser ihre ZuhörerInnen und Zuhörer laden. Erzeugt werden diese Klänge nicht etwa elektronisch, sondern – man staune – akustisch, wobei die Besetzung Xala. Stahlcello und Marimba lautet. Das entsprechende Album heisst „The Lugano Session“ und erscheint pünktlich zum zwanzigsten Xala-Jubiläum. Hinter dem Neologismus Xala verbirgt sich eine Serie von stetig weiterentwickelten Bodenxylophonen die Ania Losinger tanzend bespielt und die Losingers Stellung als beharrliche Sucherin auf der Musik-Szene begründen. Ist ihre Zusammenarbeit mit dem Schlagzeuger Mats Eser eine Konstante in ihrem Schaffen, so stellt diejenige mit Jan Heinke eine Variation dar. Heinkes Stahlcello ist ein an eine Skulptur erinnerndes Streichinstrument, das aus einer Reihe unterschiedlich langer gestimmter Stäbe und einem Resonanzkörper in Form eines gebogenen Stahlblattes besteht.
Die erste Begegnung mit Jan Heinke geht – so erinnert sich Ania Losinger – auf das Jahr 2003 zurück, als die beiden am Folkmusic Festival im thüringischen Rudolstadt zusammentrafen, „Fünf Jahre später begegneten wir uns in Polen, am Audio Art Festival. Damals war ich mit Mats und unserer Komposition ‚The Five Elements‘ unterwegs, Jan mit seinem Stahlquartett. Wir probten eine gemeinsame Zugabe und fuhrten sie auf.“ Der musikalische Funke sprang. und Ania Losinger empfahl Heinkes aus Stahlcelli bestehendes Quartett Don Li, der in der Folge das Debutalbum des ungewohnten Viergespanns auf seinem Hauslabel Tonus Music Records (TON 037) produzierte. Mit oder ohne sein Quartett trat Heinke wiederholt in Don Lis Orbital Garden in Bern auf. „Vor vier Jahren, bei einem dieser Gastspiele“. fährt Ania Losinger fort, „wohnte Jan bei uns, und wir probten und tüftelten eine Woche lang“. Mats Esel Ania Losinger und Jan Heinke hatten die Idee, in “überakustischen Räumen“ zu spielen. Also organisierten sie einen Probetag in einem Wasserspeicher zwischen Dresden und Berlin. der einen Nachhall von zwanzig Sekunden hat. Dabei entstand eine sehr freie, lose Musik, in die Heinke seinen Ober- und Untertongesang einbrachte.
„Es musste ein weiteres Jahr verstreichen, bis wir wieder zusammenspielten und uns dem rein akustischen Klang unserer Instrumente widmeten. Mats und ich entdeckten das Spielen unserer energetisch dichten Strukturen im doppelten Pianissimo. Damit erdrückten wir das hauchende Stahlcello nicht, sondern konnten es über unsere Flächen fliegen lassen. Nach mehrmaligem Proben hatten wir die Gewissheit, dass es genau dieser Klang sein musste. an dem wir forschen wollten und der nun auch auf das Album gefunden hat.“
Auf die Frage nach dem kompositorischen Prozess, der den zu dritt signierten Stücken auf „The Lugano Sessions“ zugrunde liegt, antwortet An¡a Losinger: „Die Kompositionen sind über das gemeinsame Improvisieren entstanden. Die stundenlangen Improvisationen haben wir aufgenommen, analysiert, brauchbare Elemente weiterentwickelt, verdichtet, bis zu guter Letzt das Extrakt auf den Tonträger gebannt wurde.“ Eine kurze Zwischenbilanz nach zwanzig Jahren Xala? „Sowohl die Entwicklung des Instruments mit all seinen Facetten an sich als auch die Entwicklung von mir als Künstlerin mit und auf diesem Instrument zeigen eine fortlaufende Bewegung hin zum grossen Klang. Um den Klang geht es, se¡ es mit Grooves. Patterns oder Tanz. Und es
scheint diese lange Zeit gebraucht zu haben, um mit einer kompletten Neuerfindung wie der Xala vom blossen Beherrschen und Präsentieren eines ‚Exoten‘ zum reinen Inhalt zu finden.“
Georg Modestin