Samstag, 3. Mai 2003 – Berner Zeitung
Jublender Beifall für Ania Losinger, Don Li und die Xala im Berner Casino: ein exotisches Instrument trifft auf den symphonischen Klangkörper des BSO. Die Begegnung bringt ein neues Publikum.
Wer die Musik erfunden hat, weiss man nicht. Wo sie in dunkelgrauer Vorzeit gebraucht wurde, ist nicht schwierig zu erraten: im kultischen Ritual. Das Ritual ist auch heute noch da, auch wenn die Musik eine andere ist: Frack anziehen, auf dem Podium Platz nehmen, Dirigent, Applaus, Dunkel.
Rituale nimmt man dann wahr, wenn sie verändert werden. Verändert und dadurch verstärkt wurden sie von Ania Losinger und der Xala, ihrem Bodenxylophon. Im Sonderkonzert vom vergangenen Donnerstagabend im Berner Casino war das Dunkel anders, anders war auch der Applaus und das Publikum. Schuld an dieser Veränderung war der neue Ritus — er liess eine etwas andere Magie entstehen.
Exotik im bürgerlichen Berner Casinosaal. Ania Losinger tanzt und spielt, wobei ihr Tanz nur ihrem speziellen Instrument dient und ihr Spiel bewusst macht, dass jedes Musikmachen aus dem Körper fliesst. Eigentlich absurd mutet es sich an, wenn sich die Xala-Spielerin Losinger irgendwo zwischen die Musik- und die Tanzszene von anderen angesiedelt sieht — wohl kaum zeigen die beiden Bereiche jemals so deutlich ihren gemeinsamen Ursprung wie hier.
Auf dem Programm des 3. Sonderkonzertes stand die erste Aufführung von “tonus-music” des Berner Musikers Don Li, 2002 in New York komponiert, für Xala und Symphonieorchester. Don Li hat eine Musik geschaffen, die dem Xala auf den Leib geschrieben ist. Rhythmus ist seine Seele — ein ungewohnter Groove für das Berner Symphonieorchester.
Don Li bedient sich Patterns, ähnlich der Minimal Music. Dies beeindruckt am meisten im Rhythmischen. Ungerade Metren überlagern sich, Konflikte entstehen durch unterschiedliche Schwerpunkte und kleine Verschiebungen; ein dichtes Netz von zeitlichen Abläufen verdichtet sich zum Sog. Geschickt und raffiniert verbindet der Musiker Don Li die Tonsprache der hölzernen Xala mit Marimba, Gong und Cymbal, lässt das solistische Instrument in die Klangflächen einfliessen. Statik prägt das Geschehen auf der Oberfläche, darunter entfaltet sich ein Mikrokosmos.
Ruhig sind vornehmlich die Tempi. Entsprechend grossräumig sind die Spannungsverläufe, die sich in diesem einstündigen Werk in klare Sektionen aufteilen. Don Li interessiert sich hörbar weniger für Komplexität in seinem melodischen und harmonischen Material: Fünferreihen hoch und wieder runter, Pendelbewegungen, ein übermässiger Tonschritt. Blockartig setzt der Musiker die Streicher ein.
Wohin zielt diese musikalische Meditation? Sie greift unmittelbar in den Bauch, lullt ein, nimmt gefangen. Don Li ist fasziniert vom Zen-Buddhismus. Somit wendet sich diese Musik gleichzeitig wohl auch an den wachen Geist, der geschärft wird an den kleinen Veränderungen im scheinbar Gleichen.
Das äusserst zahlreich erschienene und auffallend junge Publikum reagierte begeistert — auf welcher Wahrnehmungsebene auch immer. Ania Losingers gekonnte Performance zwischen absoluter Konzentration und fliessender Trance nahm in der Tat gefangen. Eine beeindruckende Leistung. Kaspar Zehnder dirigierte mit ruhiger und energischer Hand das Berner Symphonieorchester, welches, angesteckt durch die starke Präsenz der Xala-Künstlerin, in ungewohnte Klangwelten vorstiess.
Die von Hamper von Niederhäusern gebaute Xala schien seinen ungewohnten Status im Konzertsaal in vollen Zügen auszukosten. Diese eigenartige Begegnung weckte Lust auf mehr. Gerne hätte man erfahren, ob das Bodenxylophon in anderen Zusammenhängen gar keinen Exotenbonus benötigen würde.
Norbert Graf