Freitag, 26 Juni 2009 – Tagesanzeiger

Die Bernerin Ania Losinger ist die einzige Musikerin der Welt, die das Xala spielt, ein Bodenxylofon. Im Duo mit Matthias Eser am Marimbafon entsteht eine schwerelose Minimal Music.

Es kann schon mal passieren, dass die beiden beim Sprechen einen einzelnen Satz gemeinsam bauen. «Auch versierte Hörer erkennen kaum mehr, welcher Klang von welchem Instrument kommt», sagt Ania Losinger, und Matthias Eser vollendet: «Das ist heute so, aus einer langen Arbeit heraus.» Losinger und Eser bewohnen ein 300-jähriges Bauernhaus im bernischen Gerzensee, zu dem sich eine enge Strasse hinaufschlängelt. Draussen plätschert ein Brunnen, ein Hündchen streunt um ein paar Klafter gestapelten Brennholzes, gewaltig erhebt sich eine Hängebuche an der Rückseite des Hauses. Eine Idylle. Und leicht kann man sich vorstellen, wie Losinger und Eser hier eine ideale Atmosphäre für ihr Arbeiten gefunden haben.
Sie musizieren im Duo – Eser auf dem Marimbafon, einem xylofonähnlichen Instrument mit hölzernen Schwingkörpern; Ania Losinger auf dem Xala, einer Art überdimensioniertem Bodenxylofon aus Holz- und Metalltonerzeugern. Töne, die verschmelzen, sodass man nicht mehr weiss, woher sie kommen: Das ist auf «The Five Elements», der eben erschienenen CD der beiden, zu hören. Zusammen leben, zusammen musizieren: Wie Sun Ra oder Hermeto Pascoal, die ihre Musik nur kreieren konnten, indem sie mit den Musikern ihrer Bands zusammenwohnten, scheint auch in Losingers und Esers Musik vieles nur möglich, weil sie privat ein Paar sind. «Du sitzt auch mal beim Zmorge da», sagt Losinger, «und plötzlich fällt dir etwas ein.»

Ausgangspunkt ist die Xala

Ausgangspunkt dieser Musik, die manchmal so opulent klingt, als würde ein ganzes Orchester musizieren, ist die Xala – das wiederum unweigerlich auf Losingers Biografie verweist. 1970 in Bern geboren, beschäftigte sich Ania Losinger früh mit Flamencotanz, studierte Rhythmik, suchte schliesslich nach einer Verbindung von Tanz und Musik. Mit dem Instrumentenbauer Hamper von Niederhäusern entwickelte sie 1998/99 das Bodenxylofon Xala. «Nie werde ich den Moment vergessen, als das Xala hier in Gerzensee erstmals im Haus stand», erinnert sich Losinger heute. «Soll ich jetzt draufstehen?», habe sie sich gefragt.

400 Kilogramm schwer

Das Xala hat eine Grundfläche von rund zwei mal zwei Metern. Etwa zwanzig Zentimeter hoch und über vierhundert Kilo schwer, besteht es aus 24 Klangpaletten aus ostafrikanischem Padoukholz. Darauf virtuos tanzend («Ich musste zuerst überhaupt lernen, wie man auf diesem Instrument übt»), evoziert Ania Losinger eine eigenartige, magische Musik zwischen Klang und Rhythmus. Mit Flamenco-Schuhen bringt sie die Töne zum Klingen, hält in jeder Hand einen menschenhohen Stab und spielt am Ende das Xala also mit allen vier Gliedmassen. Das Ergebnis ist eine Kunst zwischen Tanzperformance und Musik – kein Wunder, hat Losinger ihre Produktionen bis anhin auf DVDs festgehalten.
Doch «The Five Elements» mit Matthias Eser ist nun als blosse CD erschienen. Eine minimalistisch geprägte Musik, in der Konzeptionelles genauso eine Rolle spielt wie in endlosen Proben instinktiv Ausgetüfteltes. In fünf Teile ist die Musik gegliedert – «Earth», «Water», «Fire», «Metal» und «Wood». Den Taktarten liegen rhythmische Gerüste zugrunde, die laut Losinger auf chinesischer Zahlensymbolik für die Elemente gründen.
Fast zwanzig Minuten dauert das erste Stück, «Earth». Ein Fünfviertelpattern als Grundlage. Darüber wachsen andere Muster, verzahnen sich. Ein irisierender Zauber aus Klangfarben und eine unheimlich präzise, klangliche Häkelarbeit. «Ich habe nur zwei Oktaven auf dem Xala», sagt Losinger. «Aber diese Oktaven sind dafür extrem stark», wirft Matthias Eser ein und fährt fort: «Gewisse thailändische Gongs, die ich zusätzlich spiele, klingen nur bei einem ganz bestimmten Ton gut – wir konnten also ein Stück beispielsweise nicht einfach eine Terz tiefer spielen.»

Viel Sanftheit

Man wird von der Klanglichkeit dieser Musik umgarnt. Da ist viel Sanftheit. Und doch zeigt schon das erste Stück, was dieses Album auch sonst auszeichnet: Bei aller Klangmagie ist «The Five Elements» weit entfernt von einer akustischen Idylle. Raffiniert, wie Klänge manchmal durch die Art ihres Anschlags ins Schroff-Trommelartige changieren. Plötzlich sind sie Schläge. Und auch umgekehrt: Schläge sind wieder Klänge. Ja, Klang und Rhythmus sind dasselbe, man soll sie gar nicht als Gegensatz denken. «Wenn Rhythmen präzis gespielt sind», meint Losinger, «wird der Klang gross.»
Diese Musik ist nun nicht nur rhythmisch, sie groovt auch. Wie die Töne genau phrasiert sind – das macht es aus. Und was auch noch dazu beiträgt, dass man bei «The Five Elements» nicht an esoterische Weichzeichnerei denkt: Hier wird auch mal ordentlich zugepackt. Harte, pochende Klänge überlagern häufig die samtenen Grundklänge – durch einen milden Wolkenhimmel hört man plötzlich die Donner grollen.

Metallisch und feurig

So verschieden die Elemente wie Wasser oder Erde sind, so verschieden sind die Klangbilder der fünf Stücke. «Metal» etwa arbeitet zunächst mit wenigen Tieftönen. Eine zerlöcherte, zerfaserte Minimalstruktur. Wie anders ist «Fire», das von einem schnellen, bezaubernden Minimalpattern geprägt ist. Eine enorme Leichtigkeit: Das Feuer versengt in diesem Stück gar nichts, ist vielmehr ein heiter flackerndes Zünglein. Doch auch hier wird das schwerelose, klangverliebte Brodeln bald von harten perkussiven Attacken angegangen.
Eser und Losinger, deren Gehöft in Gerzensee auf einer Anhöhe namens Friedberg liegt, wissen eben nur allzu gut: Ihre Musik, demgegenüber, verträgt nicht nur die Idylle.

Christoph Merki