Der Bund – Donnerstag, 24 April 2014 – Ane Hebeisen

Ania Losinger hat in einer Sinnkrise eine vollkommen neue Kunstform erfunden, in der Tanz und Musik verschmelzen. Nun stellt sie eine neue CD vor.

In ihren besten Momenten schafft es die Musik, das geistige Auge mit Bildern zu füttern. Das tut auch die Musik der Ania Losinger. Doch ihre Bilder sind nebulös. Sie decken sich mit nichts, was im Erinnerungsfundus abgespeichert wäre. Mal wähnt man sich in einer strengen buddhistischen Zeremonie in einem schlecht gelüfteten Grossstadt-Keller, mal auf dem Dancefloor eines von Ethnologiestudenten geführten Elektroclubs, mal in einer Landschaft voller singender Eiszapfen. So in etwa klingt «Fú», das neueste Werk von Ania Losinger. «Fú» ist getanzte Musik – oder Musik gewordener Tanz, je nach Perspektive. Eingestampft auf dem eigens für sie entwickelten Bodeninstrument Xala, dessen Klangspektrum in der dritten Ausführung fulminant erweitert wurde.

Doch bevor wir zu technisch werden, sei kurz der künstlerische Werdegang der Ania Losinger aufgefrischt. Irgendwann in den Neunzigerjahren befand sich die Frau, deren Lächeln zu einem der schönsten dieses Kantons zählt, in einer hartnäckigen Sinnkrise. Sie war eine hochbegabte Flamencotänzerin und stand vor der Entscheidung, sich mit Haut und Haaren in diese Disziplin zu schicken, inklusive Umzug nach Südspanien, inklusive der Konfrontation mit dem südspanischen Mackertum. «Ich spürte, dass Spanien für mich nicht infrage kam», sagt Ania Losinger rückblickend, «doch ich wollte keine halben Sachen machen.»

Es begann ein Prozess der künstlerischen Selbstfindung, in dem sie sich auch von ihrem einverleibten Ausdrucksrepertoire entwöhnte. Irgendwann wurde der Boden als Instrument entdeckt, und 1998 entwickelte sie zusammen mit dem Instrumentenbauer Hamper von Niederhäusern die erste Xala, die von ihr mit Flamencoschuhen und zwei Stöcken tanzend bespielt wurde. Zunächst vornehmlich im Umfeld des Berner Groove-Alchemisten Don Li, der lange auch die rhythmischen und musikalischen Patterns für sie komponierte. Das Problem: Die Xala war viel zu schwer, als dass sich damit grössere Tourneen hätten bestreiten lassen.

Ausserdem war sie wegen ihrer ureigenen Physis tonal nur schwerlich mit anderen Instrumenten in Einklang zu bringen. «Diese Unwägbarkeiten sind nun bei der Xala 3 weitgehend ausgemerzt», erklärt Ania Losinger. «Sie wiegt nur noch etwa 100 Kilo, ist modular aufgebaut, gestimmt und mit Tonabnehmern bestückt, was vor allem im Bassbereich viel mehr Möglichkeiten bietet.»

Meditation und Archaik

Ania Losinger bezeichnet ihr Tun auf dem Instrument nach wie vor als Tanz. Sie sei ein Bewegungsmensch, die Gewichtsverlagerungen, die Spannung im Körper, die das Spiel auf der Xala möglich machten, sie seien klar dem Tanz zuzuordnen. Trotzdem werden ihre Gesuche in Bern mehrheitlich von der Abteilung Musik behandelt. Und auch die Auftrittsorte, an die sie gebucht wird, sind immer öfter Musikclubs oder Festivals. Die Musik ihrer neuesten CD funktioniert denn auch abgekoppelt von den ungewöhnlichen Methoden ihrer Entstehung.

Es ist eine zuweilen fast meditativ-groovende Kunstmusik, streng komponiert und doch archaisch-rituell anmutend. Begleitet wird Ania Losinger von ihrem musikalischen Partner Mats Eser am Schlagzeug und an der Perkussion. Es sind raffinierte rhythmische Schichtungen, ohne Overdubs live eingespielt und von Björn Meyer mirakulös produziert.

Es wird viel geredet vom Segen interdisziplinärer Kultur, von Crossmedia und Typähnlichem. Ania Losinger tut seit 15 Jahren genau das, ohne gross darüber zu reden. Die Bernerin, die mit psychedelischem Rock und klassischer Musik sozialisiert wurde, hat eine ganz und gar originäre Kunstform erschaffen, die selbst die eingefleischten Eiferer des Spartenübergreifenden zum Staunen bringt. Auf die aktuelle Einspielung werden in den kommenden Monaten weitere folgen. Als Nächstes eine Produktion, in welcher Losinger und Eser die Eindrücke ihrer Reise nach Shanghai verarbeiten, wo sie einen Monat lang im spanischen Pavillon der Weltausstellung aufspielten: «Ein 50-minütiger Trip», wie es Ania Losinger umschreibt. Im letzten Teil der Trilogie wird sich ihre Xala 3 mit einem Fender Rhodes und Glasperkussion duellieren.

Der ganze Zauber der losingerschen Kunst entfaltet sich indes am eindrücklichsten an ihren Liveauftritten, an welchen genau das geschieht, was der Bernerin vorschwebte, als sie sich vor vielen Jahren vom Flamencotanz zu entfernen begann: eine neue Kunst, in der sich Tanz und Musik gleichgewichtig in einer Person vereinigen.

Orbital Garden Samstag, 26. 4., 22 Uhr. Sonntag, 27. 4., 17 Uhr.

Nebulöse Bilder: Mats Eser und Ania Losinger auf ihrer aus Holz und Metall gefertigten Xala. Foto: zvg