Samstag, 3. Mai 2003 – Der Bund

Mehr als jedes andere verdiente das Dritte in der Reihe der BSO-Sonderkonzerte seinen Namen. Nicht weil es zufällig auf den 1. Mai fiel. Auch nicht, weil es in jener Neumondnacht stattfand, in der die Kelten Beltane feierten, die Walpurgisnacht, in der Goethe Faust und Mephisto wie im Drogenrausch den nächtlichen Brocken besteigen lässt, auf dem Fackeln, Irrlichter und dunkle Gestalten umherschwirren: “hör ich Rauschen, hör ich Lieder? Hör ich Stimmen jener Himmelstage? — Aber sag mir, ob wir stehen, oder ob wir weitergehen? Alles, alles scheint zu drehen…”

Auch in den beredten, prozesshaft rhythmisierten Klangskulpturen von Don Lis “tonus-music”, die das Berner Symphonieorchester BSO (Leitung Kaspar Zehnder) und die Xala-Spielerin Ania Losinger im ausverkauften Casino mit Händen und Füssen zum Leben erweckten (lies: uraufführten), schien zuweilen alles zu flimmern und zu drehen. Li offenbarte dem Publikum Klang- und Zeiträume, die an den Tanz von Derwischen erinnern, weil auch hier die innere Ruhe in einem Zustand äusserer Bewegung gefunden wird. Da rauschten die Xylophon- und die Holzbläserstimmen, irrlichterten sonore Geigen- und glasklare Glockenklänge und öffneten hypnotisch wiederholte Rhythmen den Zugang in andere Sphären der Wahrnehmung, Klänge nicht von dieser Welt. Sie machten erfahrbar, dass man im Drehen die Zeit vergisst und die Welt loslässt, anstatt sich an ihr festzuhalten.

Der Jointventure in der Rhythmuszone bewegte tief und nachhaltig. Auch weil seine Perfektion nicht einfach Computerwerk ist wie bei anderen Minimalisten. Die Minimal Music des BSO atmete. In ihren Clustern spürte man den Puls, die Präsenz des Lebendigen. Umso mehr, als in den ungeraden kniffligen Rhythmusfolgen hie und da feine Rückungen und Verschiebungen auftraten, die den Klangapparat gewollt, und zuweilen auch ungewollt, ins Taumeln brachten. Mit kühlem Kopf behielt Kaspar Zehnder den Ueberblick, gab die Einsätze unprätenziös, zur richtigen Zeit am richtigen Ort, und gestaltete die wechselnden Dialoge und Tempi mit Bedacht. Als ein organisches Werden und Vergehen, das an Schlüsselstellen aufbricht oder erlöscht.

Getragen wurde das sechzigminütige Konzert indessen vom tönenden Tanz auf der mit Mikrophonen verstärkten Xala: die Konzentration, Zurückhaltung, natürliche Anmut und rhythmische Präzision, mit der die Solistin Ania Losinger die Klangstäbe der Xala bespielte, muss man erlebt haben. Die ehemalige Flamencotänzerin steht am Anfang einer neuen Identität und Karriere. Ihre Devise “minimalize to the maximum” ging auf und machte den Abend zum Ereignis.

Marianne Mühlemann