Sonntag, 6 Oktober 2002 – Acher-Bühler-Bote

Die Schweizer Tänzerin Ania Losinger begeisterte im Fautenbacher „Wagen“. Ihre Performance auf der Xala, einem zumeist mit den Füssen gespielten viereinhalb Quadratmeter grossen Holzxylophon, verblüffte mit virtuosen Klangstrukturen.

Die 1970 in Bern geborene Ania Losinger würde nach einer ganzen Reihe von internationalen Auftritten gerne einmal ihre Kunst in Uebersee vorführen. Einladungen liegen bereits vor, aber welche Last hätte sie zu tragen: Ihr begehbares Instrument, die Xala, ist für das Handgepäck denkbar ungeeignet. Es besteht aus 24 hölzernen Klangstäben, die aneinandergereiht eine Bodenfläche von 2,6 mal 1,7 Meter bilden und über 400 Kilogramm wiegen.

Nach Achern war Ania Losinger aber der weg nicht zu weit und sie konnte hier immerhin ihre Süddeutschland-Premiere feiern. Dass ihr Auftritt am “Tag der Deutschen Einheit” wirklich zu einer grandiosen “Feierstunde” geriet, verdankt sie jedoch nicht nur ihrer zutiefst verblüffenden Kunst, sondern auch dem phantastischen Publikum. Die Acherner liessen sich vom gänzlich Ungewohnten von Anfang an begeistern und zollten der Künstlerin nach jedem Tanzstück grossen, oft enthusiastischen Applaus.

Bei den Darbietungen herrschte übrigens im Saal absolute Ruhe. Diese war jedoch zwingend, da bei manchen Teilen der Tanz-Performance sogar das Knarren eines Stuhles unangenehm aufgefallen wäre. In dieser wohltuenden Stille konnte sich Ania Losingers Kunst glänzend entfalten. Schon allein der Beginn: Sie betrat die Xala behutsam, mit vorsichtig vorwärts tastendem schritt. Da, die ersten Töne, nichts Ungewöhnliches, so mag es klingen, wenn man auf Holz spazieren geht. Doch plötzlich geht es los, die in Flamencoschuhen steckenden Füsse arbeiten einen Rhythmus heraus. Je nachdem auf welchem, genau bemessenen Platz Ania Losinger “auf der Stelle tritt”, verändert sich der Ton. Eine atemlose Spannung erfasst inzwischen die Zuhörer, die sich in einem allmählich rasant werdenden Kreistanz der Künstlerin löst. Energisch knallen die Absätze auf das Holz. Dabei entstehen virtuose, hochzahlige Taktfrequenzen. Diese werden von schönen Obertönen begleitet, die der Musik ihren unverwechselbaren Charakter verleiht.

Dass dieses unerhörte Tonspektakel gelingen konnte, liegt zuallererst an der aufwändigen, hoch präzisen Entwicklungsarbeit, bis zur Fertigstellung der Xala. Ein Jahr intensiver Forschung und vielerlei Experimente in Zusammenarbeit mit einem profilierten Schweizer Instrumentenbauer brauchte es, um die konkreten Wunschvorstellungen der Tänzerin zu erfüllen. 25 000 Euro kostete das fertige, mit Schallabnehmern ausgestattete “Xylophon”.

Ania Losinger tanzt auf dem Xala aber nicht nur mit den Schuhen. Zusätzlich benutzt sie lange Holzstäbe, Claves und sogar einen Klangholz-Stuhl. So war jedes “Lied” anders, ungewohnt neu und eindrücklich. Einiges klang sakral und geheimnisvoll, in seiner ernsten Tiefe erschütternd. Dies wurde durch Ania Losingers Körpersprache bestens unterstützt. Dabei blieb ihre charismatische Präsenz stets natürlich und vermittelte damit aufs Beste die Essenz des 800 Jahre alten Rätselspruchs eines lächelnden Zen-Buddhisten, der auf der Frage nach der “wahren Buddha-Natur” antwortete: “Offene Weite – Nichts von heilig”.

Wolfgang Winter