Samstag, 3. Dezember 2005 – Neue Zürcher Zeitung
Die Bernerin Ania Losinger macht auf dem ersten tanzend bespielten Bodenxylophon, das sie Xala nennt, eine singuläre Musik. Zusammen mit dem Instrumentenbauer Hamper von Niederhäusern hat sie ihre erste Xala im Jahre 1999 entwickelt. Im Zürcher Jazzclub Moods präsentiert sie ihr überarbeitetes Soloprogramm.
Ania Losinger hat sich mit vielen kulturellen und sportlichen Disziplinen professionell beschäftigt, bevor sie zur weltweit einzigen Xala-Spielerin wurde. Sie nahm Klavierunterricht am Konservatorium Bern, lernte bei ihrer Grossmutter die ersten Tanzschritte, gehörte zum Nationalkader der Rhythmischen Sportgymnastik und studierte schliesslich alle möglichen Tanzformen, um beim Flamenco zu landen. Parallel zu einer Ausbildung als Flamenco-Tänzerin in der Schweiz und in Spanien schloss sie am Konservatorium Zürich ein Rhythmik-Studium ab, erteilte Klavier- und Tanzunterricht und gehörte von 1997 bis 1999 der Tanzgruppe Flamencos en Route an. Der experimentierfreudigen Bernerin war dies aber alles zu wenig. Die, wie sie sagt, etwas beschränkte Rhythmik des Flamenco erweiterte sie in Auftritten mit dem Jazzmusiker Don Li, den sie schon seit vielen Jahren kannte. Auf einem einfachen Holzboden tanzend, träumte sie immer von differenzierteren Klängen, von einem Fuss-Schlagzeug, das es ihr erlauben würde, den einzelnen Schlägen unterschiedliche Sounds zuzuordnen. Sie versuchte das, indem sie verschiedene Hölzer und Pads auf den Boden legte und ihre Tanzschritte auf diese verteilte. Nun war die Idee des betanzberen Bodenxylophons geboren. Der klassisch ausgebildete Perkussionist Matthias Eser – auch er ein langjähriger Freund – hatte in einem Zeitungsartikel vom Instrumentenbauer Hamper von Niederhäusern gelesen, und Ania Losinger nahm mit ihm Kontakt auf. “Ich erzählte ihm von meiner Idee und wollte ein paar Tipps von ihm, um selbst einen Prototyp zu bauen”, erzählt die Künstlerin, “doch der lachte mich aus. Er war zwar von der Vorstellung eines Bodenxylophons sofort begeistern, nahm mir aber rasch die Illusion, dass ich ein professionelles Instrument selbst herstellen konnte”. So baute von Niederhäusern in Zusammenarbeit mit der Tänzerin Klangstäbe aus Padouk-Holz, die er auf einem speziellen Unterbau befestigte. Jeden der 24 Töne (wobei der Zentralton eigenartigerweise ein Fis ist) sowie die ebenso mit den Füssen bedienbaren Gongs mikrophonierte er. Die erste Xala, dessen Entwicklung ein Vermögen kostete, war entstanden. Der Name Xala ist abgeleitet vom baskischen Perkussionsinstrument Txalaparta, das zu zweit mit zwei dicken Holzstöcken bearbeitet wird. Die erste Xala (es gibt in der Zwischenzeit bereits eine zweites, anders konstruiertes und klingendes Instrument) ist viereinhalb Quadratmeter gross und wiegt vierhundert Kilogramm. Ania Losinger kann auf ihrem Instrument gleichzeitig vier unabhängige Melodielinien, Ostinati oder Mehrklänge produzieren: zwei mit ihren Flamencoschuhen und zwei mit aus unterschiedlichen Hölzern gefertigten und mit Filzen gedämpften menschenhohen Stöcken. Die Stöcke sind teilweise zusätzlich mit Klappen versehen, mit denen die Spielerin Schläge betonen kann. Die Xala und das bisher erarbeitete Repertoire (das ausschliesslich von Don Li, Matthias Eser und Ania Losinger selbst stammt) ist ein „Work in Progress“. Ania Losinger und Hamper von Niederhäusern entwickeln das Instrument und die Spieltechniken ständig weiter. Auftritte von Ania Losinger – sei es als Solistin oder als Mitglied von Ensembles – bieten viel für Auge und Ohr. Es erstaunt immer wieder aufs Neue, wie die Pionierin komplex notierte Vorlagen mit unabhängigen, polyrhythmischen Mustern zum Klingen bringen kann. Dabei sind auch die harmonischen Bewegungsabläufe wichtig. So ist es sinnvoll, dass der aktuelle Tonträger ihrer Arbeit auch ein DVD-Bildträger ist. Was ist das für ein Gefühl, wenn man weltweit die einzige Künstlerin ist, die ein bestimmtes Instrument spielt? Es gebe sehr einsame Momente, aber manchmal sei es auch ein erhebendes Gefühl, aus dem Nichts etwas zu kreieren, das einmalig ist.
Nick Liebmann